Video des Livestreames: https://www.youtube.com/watch?v=U2V0nR0zys8
Die €urOPER bringt die Alltagsdramen und Reality-Märchen zur Aufführung, sie agiert in den Scheinwelten des digitalen Zeitalters und schwankt zwischen Angst und Glück im kapitalistischen Realismus. Wo von Bollywood bis Netflix lang ersehnte Gefühle aus den Untiefen unserer Belanglosigkeit beschworen werden, zaubert unsere Oper aus all der Gleichzeitigkeit an Zuviel und Zuwenig eine neue Form.
In Zusammenarbeit von KünstlerInnen mit AnwohnerInnen und BürgerInnen Dresdens, wurde die „Oper“ zum Medium, um aktuelle, politische, technische und humanistische Themen, in eigene künstlerische Bilder zu überführen. Die Uraufführung vereint nun die Ergebnisse einer 2 jährigen Projektlaufzeit, welche eine komplexe Geschichte eines europäischen Jetztzeit Szenario visualisieren.
Denken wir an Oper, haben wir schnell große Gefühle und prächtige Bühnen, opulente Kostüme und hohe Stimmen im Kopf. Wir denken an Pathos und Affekt, aber in historischer Gestalt – die Oper ist die Gattung des 19. Jahrhunderts und alle Formen und Figuren scheinen an diese Vorstellungswelt und den Kosmos des klassischen Musikdramas gebunden zu bleiben.
Dabei fehlt es auch im 21. Jahrhundert nicht an dramatischen Konflikten und existentiellen Widersprüchen, enthusiastischen Überschwang und tiefer Verzweiflung. Noch immer kollidieren individuelle Schicksale mit den Anforderungen des gesellschaftlichen Systems, noch immer wird mit Rollenbildern gerungen und um die eigene Identität gekämpft. Wo früher die Oper die einzige große Form war, um Leben und Leidenschaften auszudrücken, übertrumpfen sich heute Unterhaltungsformate mit allen Mitteln der Kreativindustrie. Aber steckt nicht auch Opernhaftes in den Welttourneen der Pop Produktionen mit ihren Riesenbühnen? Enthalten die Schlagzeilen der Boulevardpresse nicht auch Dramen Stoff? Ereignen sich in Europa und um Europa herum nicht täglich Tragödien? Mit etwas Phantasie kann man auch in Worten und Gesten der Eltern, die mit ihren jugendlichen Kindern in der Einkaufspassage über angemessene Kleidung streiten, ein elementares Spektakel erkennen. Ist das Verhalten jener Role Models, die als Blaupausen für die Kostümierung ganzer Generationen dienen, nicht auch eine theatralische Darbietung? Kurzum: Erleben wir die Welt nicht als eine riesige Inszenierung voller Figuren und Gestalten, die auf der Bühne unserer Gegenwart ihre Rolle spielen?
Unser öffentliches Handeln und individuelles Denken wird von schwer durchdringbaren gesellschaftlichen Reglements bestimmt; von den No go’s und Have to’s der Geschlechter und Familienstrukturen, von Zeitdruck und Zuschreibungen, von vorherrschenden Klischee Bildern und von unausgesprochenen Normen. Die geforderten Anpassungsleistungen bescheren wahlweise das Selbstopfer unbezahlter Überstunden oder den Selbstzweifel der Arbeitslosigkeit. Die Kultur kann den Zustand kaum mehr lindern: unter Menschen, die sich an Maschinen orientieren und von Robotern gestreichelt werden wollen, macht sich politische Schwermut breit. Die Social Media Generation, die ihre Individualität durch mindestens fünf verschiedene Accounts zur Schau stellt, scheint erschöpft von der eigenen Simulation. Die schier nicht enden wollende Assoziationskette der Zumutungen schreit nach Veränderung.
Jede Gesellschaft verteilt ihre Rollen ein bisschen neu. Auch wenn die Gattung Mensch als Meister der Wiederholung und des Vergessens glänzt. Die Geschichten und Schicksale sind gleichbleibend komplex, Glück und Anerkennung fallen einem zu oder werden umkämpft, Geschlechter und Rollen werden verachtet oder handlungsleitend und oft sind noch Spuren vergangener Charaktere in den neuen Bühnenstücken anderer Zeiten wieder zu finden und vorherige Protagonisten implementieren “Spielerweiterungen” oder Regelwerk Verlängerungen.
Spielen Sie gern eine Rolle?
Unsere real empfundene Welt beinhaltet so viel Simulation, ist voller Systeme und Regeln, dass es einfach scheint, alles als ein Spiel zu interpretieren. Obwohl das Spiel nach Huizinga impliziert, dass es freiwillig ausgeführt werden muss, um als Spiel zu gelten. Wo Spiel ist, ist auch Schauspiel und beim Drama des Lebens ist die Oper nicht weit entfernt. Machtkampf, Übertreibung, ausufernde Kostümvorlagen und emotional aufgeladene Punchlines. Ist es nicht wichtig zu wissen, dass man spielt? Und ist es da nicht naheliegend, endlich einmal richtig drauflos los spielen, wenn man sich sowieso schon auf dem Spielbrett befindet.
Im Fokus aller Spielenden sollte stehen, die eigene Geschichte überhaupt zu (er)finden. Denn wer sie nicht kennt, hat keine. Und wer keine hat, kann keine erfinden! Bleiben Sie ein Protagonist! Verfeinern Sie ihre eigene Geschichte und die der anderen mit unglaublichen Überraschungsmomenten, ungeahnten Kostüm Neuzugängen in alteingesessenen Themenbereichen, interpretieren sie die Rollen neu und starren nicht nur in die eine Richtung. Die Bühne hat 360°!
EurOper ist ein Projekt des Deutschland & friend´s e.V. wird gefördert durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) im Freistaat Sachsen und der Landeshauptstadt Dresden.